Sturzfluten, Stürme, Hagel: Rund 40 extreme Wetterereignisse pro Tag haben Italien in den vergangenen Wochen heimgesucht, berichtet Coldiretti und beruft sich auf Daten der European Severe Weather Database (ESWD). Ernst sei die Lage, vor allem in Venetien und in der Emilia-Romagna, insbesondere im Gebiet rund um Modena.
Die dortige Kleinstadt Vignola ist über die Landesgrenzen hinaus für die Kirschen bekannt. Nun haben Regenfälle teils den Zugang zu Grundstücken verhindert, zudem besteht gerade bei frühen Sorten die Gefahr, dass das Zuviel an Wasser zum sog. “Cracking”, d.h. zum Aufplatzen, der Früchte führt. Das Produkt würde dadurch “faktisch unverkäuflich, was zu entsprechenden wirtschaftlichen Verlusten führt”, so der Verband. Bei Pflaumen-, Pfirsich- und Kaki-Kulturen gebe es ebenfalls Schwierigkeiten, heißt es weiter, auch habe man im Getreide- und Gemüseanbau sowie im Weinbau Schäden zu vermelden. Die Aussaat sei gefährdet, 30 % der bereits ausgesäten Kulturen sei durch die Wassermassen verloren, berichtet der regionale Landwirtschaftsverband Cia Veneto.
Norditalien unter Wasser
In einigen Gebieten in Venetien wurde Alarmstufe Rot ausgerufen, Rückhaltebecken würden genutzt, berichtet die Seite RaiNews.it, während die Lombardei von Alarmstufe rot zurück auf gelb gehe. Man erwarte, dass das Schlechtwettergebiet sich nun in den Süden des Landes ausbreite und Sardinien, die Toskana, Umbrien und das Latium erfassen könnte, heißt es weiter. Auch die Emilia-Romagna, die bereits im vergangenen Jahr mit heftigen Überschwemmungen zu kämpfen hatte, ist erneut von großen Wassermassen betroffen. Die Wasserspiegel der Flüsse und Seen steigen weiter an, bisher ist kein Stopp des Regens in Sicht. Um u.a. die Kirschen zu schützen, setzen die Produzenten auf Schutzfolien und -netze: ”Über ein Drittel unserer Flächen sind bereits geschützt, und bei künftigen Kirschebäumen, die wir pflanzen, wird der Schutz direkt mit installiert”, erklärt z.B. Enrico Bucchi, Generaldirektor von Valfrutta Fresco, auf ItaliaFruitNews. Neue Schutzsysteme sind in der Entwicklung, wie auch der “green shield”, den Ri.Nova gemeinsam mit der Universität Bologna ausgearbeitet hat. 50 % weniger Pflanzenschutzmittel seien damit nötig, 30 % Wasser könne eingespart werden, berichtet Projektmanager Daniele Missere auf cherrytimes.it. Selbst bei Hagel oder Starkregen könnten so die Früchte geschützt bleiben.
Süden kämpft weiterhin mit Dürre
Auf Sizilien wiederum zeigt sich ein gänzlich anderes Bild: “In diesem Jahr hat es noch gar nicht gereget”, berichtet Rosario Marchese, Präsident der sizilianischen Abteilung des Landwirtschaftsverbandes Confagricoltura, auf Rai Radio 1. “Wir können nicht bewässern, das gefährdet die Trauben, Oliven, unser Vieh bekommt kein Heu.” Die Landwirtschaft Siziliens laufe Gefahr, zu verschwinden, so Marchese. Seit 2002 habe man eine solche Dürre nicht erlebt, berichtet die Seite CataniaToday. Renato Schifao, Präsident der Region, hat nun Mittel i.H.v. 20 Mio Euro angekündigt, um u.a. Brunnen, Quellen und Wassernetzwerke zu reparieren und Tankwagen instand zu setzen, heißt es. In Apulien, der Region rund um den “Stiefelabsatz”, seien 57 % der Gebiete von Wüstenbildung bedroht, berichtet das Regionalbüro aus Apulien des Landwirtschaftsverbands Coldiretti. Insbesondere der Obstanbau leide unter der Hitze: Im in Apulien besonders präsenten Kirschenanbau habe sich die Produktion der Ferrovia-Kirschen mehr als halbiert, auch Bigarreau-Kirschen seien zurückgegangen, so das ernüchternde Update.
Rückbesinnung und objektive Bewertung
Die Wasserknappheit führe zu einem “Wettbewerb zwischen der Landwirtschaft und den Gemeinden”, schreibt Francesco Sottile in der Tageszeitung Repubblica. “Wasser für Citrusfrüchte und Weinreben oder Wasser für Häuser und Bürger? Was ist die richtige Antwort?” Die Landwirte stünden vor komplexen Entscheidungen, heißt es weiter. Den bisherigen Weg verfolgen oder doch Agri-PV installieren? ”Manche sprechen von der Verwandlung Siziliens von der Kornkammer zur Batterie Italiens”, so Sottile. Die Verwirrung ob der richtigen Wahl sei groß. Was fehlt, sei eine objektive Bewertung, welche eine Energiewende und Umweltschutz gleichermaßen berücksichtige, die Interessen von Industrie, Bürgern und Natur miteinbeziehe. Letztendlich könne auch ein Schritt zurück den Weg in die Zukunft frei machen: Alte Getreidesorten seien besser auf die Hitze des Südens angepasst, fast vergessene Gemüsesorten kämen beinahe eine ganze Saison ohne Bewässerung aus. “Ein ganzes Produktionsmodell muss überarbeitet werden”, betont Sottile, Landwirte im agrarökologischen Wandel unterstützt und die wirklichen Bedürfnisse der Region erkannt werden, endet er.