Am 14. März haben sich die zuständigen Ministerinnen und Minister Frankreichs für den neuen Nutri-Score entschieden. In Deutschland ist die neue Variante bereits seit 1. Januar 2024 aktiv. Wie die Seite bienpublic.com erklärt, setzen 72 % der Französinnen und Franzosen auf den Nutri-Score für mehr Orientierung beim Einkauf. 

Auf radiofrance.fr wird das Thema zurückverfolgt: Im Rahmen der Farm-to-Fork-Strategie hatte die EU-Kommission 2020 ein obligatorisches Logo in Erwägung gezogen, das bis Ende 2022 umgesetzt werden sollte - geschehen ist dann jedoch nichts. “Es gab eine sehr intensive Lobbykampagne gegen den Nutri-Score”, berichtet Emma Calvert vom Europäischen Büro der Verbraucherverbände (BEUC). Vor allem Italiens Lebensmittelbranche habe den ausgearbeiteten Vorschlag für einen EU-Nutri-Score abgelehnt. Vorwürfe wurden erhoben, nach denen der Nutri-Score Erzeugnisse mit g.U.- bzw. g.g.A.-Siegel benachteilige. Auch in Frankreich seien Aufschreie “lokaler” Produzenten lautgeworden, deren Produkte, z.B. Roquefort-Käse, schlecht bewertet wurden - wobei hinter diesen häufig riesige Lebensmittelproduzenten stünden, betont bienpublic.com.

Meinung mit regionalem Geschmäckle

Insbesondere für die französische Landwirtschaftsministerin Anne Genevard war dieser Punkt bisher ein Ausschlusskriterium: Noch vergangene Woche hatte sie öffentlich erklärt, den Erlass zu blockieren, da der überarbeitete Nutri-Score regionale französische Spezialitäten, insbesondere Käse und Wurstwaren, schlecht bewerte. In einem Post auf X wies sie auf die “Grenzen” des Systems hin, die “unbedingt korrigiert werden müssen”, um regionale Erzeugnisse nicht “ungerechtfertigt zu bestrafen”. Ende 2022 war die Ministerin, damals noch Abgeordnete der konservativen “Les Républicains” und selbst aus einer Region, die für ihren Comté-Käse berühmt ist, Mitunterzeichnerin eines Gesetzesvorschlags, der darauf abzielte, Produkte mit geschützter Ursprungsbezeichnung (g.U./g.g.A.) vom Nährwertlogo auszunehmen.

Achtung des kulinarischen Erbes

Gesundheitsministerin Chaterine Vautrin, Pflegeminister Yannick Neuder, Wirtschaftsminister Eric Lombard, Handelsministerin Véronique Louwagie sowie Landwirtschaftsministerin Annie Genevard hatten den Erlass dann am 14. März dennoch unterzeichnet. Mit Blick auf die Agrar- und Lebensmittelbranche versicherten alle, darauf zu achten, “dass dieses System (…) den Produkten, die aus dem Reichtum unserer Regionen stammen und Symbole unseres kulinarischen Erbes sind, nicht schadet”. Man wolle “wachsam gegenüber den Nebenwirkungen” bleiben, welche die neue Berechnungsmethode des Nutri-Score für französische Produkte mit sich bringe, berichtet u.a. Le Monde. Unternehmen der Gruppe “En Vérité” (“in Wahrheit”) hatten sich zuvor in einem offenen Brief an Francois Bayrou und Annie Genevard gewandt und bei der Bewertung durch den Nutri-Score “klare und einheitliche Regeln für alle” gefordert, berichtet bienpublic.com.

FotoLabels

Nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich ist der Nutri-Score für Konsumentinnen und Konsumenten - neben vielen anderen Labels - eine Unterstützung beim Einkauf.

Auftakt für weitere Auseinandersetzungen

Der Nutri-Score sei ein Hilfsmittel im Kampf gegen Übergewicht und Adipositas, außerdem helfe er bei weiteren gesellschaftlich verbreiteten Krankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Störungen sowie bei einigen Krebserkrankungen, erklärte Gesundheitsministerin Chaterine Vautrin auf dem Fernsehsender TF1. Auch für Dr. Grégory Emery, Generaldirektor für Gesundheit der frz. Regierung, stellt der Nutri-Score ein wirkungsvolles Instrument dar. “Man kann nicht so tun, als ob Übergewicht und Adipositas kein Problem der öffentlichen Gesundheit wären”, betonte er.

Für Thierry Cotillard, CEO der Gruppe Mousquetaires (inkl. Intermarché) ist die Überarbeitung “eine gute Sache”. Schlechtere Scores würden Unternehmen dazu bringen, Rezepturen zu überarbeiten, kommentierte Cotillard auf LinkedIn. Auch die Nicht-Regierungs-Organisation Foodwatch begrüßte die Entscheidung, die “einen Sieg der öffentlichen Gesundheit und der Bürgermobilisierung” darstelle. Foodwatch hatte zuvor eine Petition initiiert, die in Frankreich innerhalb weniger Tage mehr als 23.000 Unterschriften erhalten hatte. Ohnehin fordern Befürworter des neuen Nutri-Score weiterhin eine EU-weite Kennzeichnungspflicht. Die nun angenommene Überarbeitung des Nutri-Score in Frankreich ist somit vermutlich nur der Auftakt zu weiterer Überzeugungsarbeit auf beiden Seiten. “Die Streitigkeiten sind noch nicht vorbei”, schätzte auch bienpublic.com.