Die Bundesregierung rechnet nicht damit, dass sich die für den Herbst geplante Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf die Höhe der Beschäftigung in der Landwirtschaft auswirken wird. Sie verweist auf Erfahrungen mit der Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015. Damals seien keine gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungseffekte festgestellt worden. Es sei nicht erkennbar, dass die Mindestlohnerhöhung diesmal einen Einfluss haben werde. Die Bundesregierung bekräftigt ihre ablehnende Haltung gegenüber Ausnahmeregelungen beim Mindestlohn im Bereich der Landwirtschaft.

So steige der gesetzliche Mindestlohn aufgrund des Beschlusses der Mindestlohnkommission zum 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro pro Stunde. Ohnehin werde eine Anhebung auf 12 Euro zum Oktober 2022 in dieser Erntesaison für die meisten landwirtschaftlichen Betriebe keine größere Rolle mehr spielen. Damit bleibe den Betrieben bis zur nächsten Saison „eine gewisse Vorlaufzeit“, um sich auf die geänderten Rahmenbedingungen einzustellen.

Auch die Staatssekretärin vom Bundeslandwirtschaftsministerium, Silvia Bender, erteilte Forderungen nach einer späteren und schrittweisen Einführung des 12 Euro-Mindestlohns eine Absage. „Wir wollen keine Sonderregelungen beim Mindestlohn für die Landwirtschaft“, erklärte Bender gegenüber der „Tageszeitung“ (taz). Ablehnend äußerte sich die Staatssekretärin auch zu einer nochmaligen Verlängerung der 70-Tage-Regelung für die sozialversicherungsfreie kurzfristige Beschäftigung. Die sei nicht notwendig. In den vergangenen beiden Jahren war die Frist Corona-bedingt auf 115 und 102 Tage ausgedehnt worden. Ein längeres Verbleiben der Saisonarbeitskräfte reduziere die Reisetätigkeit der Betroffenen und senke das Infektionsrisiko, lautete die Begründung. Nach den Worten Benders darf das Problem von zu niedrigen Erzeugerpreisen für Agrarprodukte nicht gelöst werden, „indem man Sozialstandards in der Landwirtschaft senkt.“

Nach Angaben der Bundesregierung waren im Zeitraum März 2019 bis Februar 2020 rund 275.000 Saisonarbeitskräfte in Deutschland tätig. In ihrer Antwort verweist die Regierung auf den hohen Anteil von Handarbeit in Sonderkulturbetrieben. Für spezialisierte Gartenbaubetriebe liege der Arbeitskräftebesatz bei 65,3 Vollzeit-Arbeitskräften je 100 ha landwirtschaftlich genutzte Fläche (LF), in spezialisierten Dauerkulturbetrieben des Wein- und Obstbaus bei 17,8 Vollzeit-Arbeitskräften je 100 ha LF. Im Durchschnitt aller landwirtschaftlichen Betriebe beträgt dieser Wert 2,9. Insgesamt ist laut Regierung die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Landwirtschaft im letzten Jahrzehnt gestiegen, und zwar von 205.000 Mitte 2011 auf 232.000 im Juni 2021. Künftig werde sich die Struktur der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft verändern. Einerseits werde der technische Fortschritt den Arbeitskräftebedarf verringern. Andererseits werde die angestrebte Ausweitung des Ökolandbaus die Nachfrage von Arbeitskräften verstärken. Aufgrund der Mechanisierung und der zunehmenden Anwendung von Verfahren der Präzisionslandwirtschaft werde sich zugleich der Trend zu höherwertigen Beschäftigungen in der Landwirtschaft fortsetzen. AgE