Die genetischen Unterschiede zwischen Spitzkohl und Blumenkohl sind größer als die zwischen Mensch und Schimpanse. Dennoch werden sie als dieselbe Art betrachtet. Forscher aus Wageningen und China haben die umfangreiche genetische Variation des Kohls (Brassica oleracea) kartiert, um eine gezieltere Züchtung zu ermöglichen, z.B. um Pflanzen mit einem höheren Nährwert oder einer größeren Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten zu schaffen.
Brassica-Pflanzen machen einen großen Teil unseres Speiseplans aus. Dabei gebe es erhebliche Unterschiede. Doch Blumenkohl, Brokkoli, Rosenkohl, Rotkohl, Weißkohl, Spitzkohl und Kohlrabi seien allesamt Varianten derselben Art, Brassica oleracea. Wie kann es eine solche Vielfalt innerhalb einer einzigen Art geben?
Die Vielfalt gehe über das Äußere hinaus. Auch die Inhaltsstoffe, wie z.B. Vitamine, Antioxidantien und die Widerstandsfähigkeit gegen Trockenheit, Kälte und Krankheiten, seien sehr unterschiedlich.
Das Genom, die genetische Information als Ganzes, war bereits recht gut bekannt, aber wie die Variation innerhalb des Genoms mit der Vielfalt bei Gemüse zusammenhängt, war unklar.
Forscher der Wageningen University & Research und der Chinesischen Akademie für Agrarwissenschaften in Peking haben sich zusammengetan, um die DNA-Sequenz von 23 verschiedenen Kohlsorten zu bestimmen und diese zusammen mit den vorhandenen Genomdaten zu analysieren.
”Wir haben ein sogenanntes Pan-Genom erstellt: eine Übersicht über alle verschiedenen Gene in den verschiedenen Kohlarten. Anschließend haben wir ermittelt, welche Gene in den meisten Kulturen vorkommen und welche nur in einer bestimmten Kulturart zu finden sind”, sagt Guusje Bonnema, Pflanzenzüchtungsforscherin an der Wageningen University & Research. In den vergangenen Jahren hat sie zusammen mit ihrem Forscherkollegen Chengcheng Cai von den Niederlanden aus intensiv an der Forschung gearbeitet. Die Ergebnisse seien überraschend gut gewesen: Nur ein Drittel der Gene komme in allen Brassica-Pflanzen vor, und die Hälfte der Gene komme nur in einem Teil der Pflanzen vor, während sie in den übrigen nicht vorhanden seien.
B. oleracea habe viele Gene. Blumenkohl z.B. habe etwa 60.000 Gene, während der Mensch nur 20.000 besitze. Dies sei darauf zurückzuführen, dass sich das Genom vor etwa 15 Mio Jahren verdreifacht habe, während das ursprüngliche Genom bereits ausreichte, um der Pflanze ein erfolgreiches Leben zu ermöglichen. ”Wir wollen verstehen, wie es zu dieser Veränderung kam, damit wir durch Züchtung bessere Sorten schaffen können”, erklärt Bonnema.
Mehr als die Hälfte des Genoms bestehe aus Transposons, kleinen DNA-Stücken, die im Genom “herumspringen” und daher an beliebig vielen Stellen im Genom auftauchen können. Diese Transposons seien in den Niederlanden als “springende Gene” bekannt. Beim Menschen haben sie einen schlechten Ruf, weil sie Krankheiten wie Hämophilie verursachen. In Pflanzen seien sie jedoch eine wichtige Quelle der natürlichen Variation. ”Wir haben herausgefunden, dass die Transposons häufig das Verhalten der Pflanzen regulieren, indem sie deren Aktivität erhöhen oder verringern. Zuvor suchten wir nach den eindeutig definierenden Genen, die bestimmen, was einen Blumenkohl zu einem Blumenkohl macht. Jetzt wissen wir, dass man nicht nur die Gene, sondern auch ihre Operatoren finden muss. In diesem Fall sind das die Transposons. Sie sind die An- und Ausschalter und Regulatoren der Gene, die sich in ihrer Nähe befinden”, sagt sie.
Die Tatsache, dass nun ein Pan-Genom (eine Übersicht über alle verschiedenen Gene einer Art) zur Verfügung stehe, ermögliche es den Wissenschaftlern, die Transposons und andere Variationen in der Struktur zu kategorisieren. ”Diese Transposons steuern die Aktivitäten der Gene, und zwar nicht nur die Gene, die das spezifische Aussehen der verschiedenen Brassica-Gemüsearten bestimmen, sondern auch die Gene, die die Resistenz, den Geschmack und den Nährwert sowie die Widerstandsfähigkeit gegen klimatische Bedingungen bestimmen. Blumenkohl z.B. ist sehr temperaturempfindlich. Wenn man den Prozess hinter dieser Empfindlichkeit versteht, kann man Sorten züchten, die weniger temperaturempfindlich sind”, erklärt Bonnema. ”Dies ist ein echter Durchbruch bei den Erkenntnissen. Wir haben uns immer auf die Variationen in den Genen konzentriert, aber jetzt wissen wir, dass die Realität viel subtiler ist. Die Regulierung der Genaktivität hat einen enormen Einfluss.”