Die Tendenzen von Artengemeinschaften, sich ähnlicher oder unähnlicher zu werden – biotische Homogenisierung und Differenzierung – halten sich in etwa die Waage, so eine neue Studie der Universität Halle. Die Studie liefert der Universität zufolge erstmalig eine umfassende Bewertung, wie lokale und regionale Veränderungen von Artengemeinschaften über lange Zeiträume zusammenwirken.
Unter der Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) analysierten die Forscherinnen und Forscher hierfür 527 Datensätze, von denen einige bis zu 500 Jahre alt sind und die in Ökosystemen wie Savannen, Wiesen oder Korallenriffen gesammelt wurden.
“Man geht davon aus, dass ein entscheidendes Merkmal der Biodiversitätskrise ist, dass sich Artengemeinschaften immer ähnlicher werden. Das wollten wir auf den Prüfstand stellen,” sagt Erstautor Dr. Shane Blowes von iDiv und MLU. “Dafür haben wir ein klassisches Maß für skalenabhängige Veränderungen der biologischen Vielfalt mit einer großen Menge an Daten kombiniert. Wir fanden heraus, dass Lebensgemeinschaften im Laufe der Zeit als Antwort auf das menschliche Einwirken auf die Umwelt genauso häufig ähnlicher wie unterschiedlicher werden.”
Viele Veränderungen heben sich gegenseitig auf
Bei der Analyse wurden sowohl die Veränderungen der Anzahl verschiedener Arten (Artenreichtum) an einem einzigen Standort berücksichtigt, als auch Veränderungen an mehreren Standorten innerhalb einer Landschaft oder geografischen Region. Auf diese Weise konnten die Forschenden feststellen, ob die Artenzusammensetzung an den verschiedenen Orten eher ähnlicher oder unterschiedlicher geworden ist.
Sie stellten fest, dass auch wenn die Zahl der Arten an vielen Standorten zu- oder auch abnahm, sich die räumliche Variation der Artenzusammensetzung in den meisten Fällen nicht veränderte. Tatsächlich waren die Nettotrends bei der räumlichen Variation der Artenzusammensetzung so schwach, dass sie oft nicht von Null zu unterscheiden waren.
Betrachtete man einen großen Zeitraum von mehreren Hundert Jahren, zeigten die Daten einen schwachen Trend zur Homogenisierung in größeren Regionen. Dieser sei vor allem auf die zunehmende Zahl weit verbreiteter Arten in den Gemeinschaften zurückzuführen. Allerdings wurde dieser Trend durch die Differenzierung der Gemeinschaften auf lokaler Ebene ausgeglichen. Diese Ergebnisse waren für alle Lebewesen gleich, von Fischen über Vögel bis hin zu Pflanzen und Säugetieren.
Studien über den Wandel der Biodiversität zeichnen ein komplexes Bild, und Forscherinnen und Forscher seien oft uneinig darüber, wie Arten auf vom Menschen verursachte Veränderungen reagieren. Viele Wissenschaftler denken, dass biotische Homogenisierung ein weit verbreitetes Phänomen sei.
“Unsere Analyse zeigt, wie komplex das Thema ist”, erklärt Professor Jonathan Chase, Seniorautor der neuen Studie und Forschungsgruppenleiter bei iDiv und an der MLU. “Unsere Ergebnisse bedeuten nicht, dass es keine gravierenden Veränderungen gibt, aber wir müssen uns von der Annahme verabschieden, dass sich Biodiversität vor allem in Form von Homogenisierung verändert.”
Biodiversitätswandel verstehen, um Biodiversität zu schützen
Die Forscherinnen und Forscher beschreiben in ihrer Studie auch verschiedene Szenarien, wie sich Artengemeinschaften verändern können: Homogenisierung passiere z.B. dann, wenn sich Arten ausbreiten und an immer mehr Orten vorkommen. Das Verschwinden häufiger Arten an manchen - aber nicht allen - Orten führe dagegen zu einer Differenzierung.
Diese Szenarien machen deutlich, dass selbst kleine Veränderungen eine Artengemeinschaft entweder in Richtung Homogenisierung oder Differenzierung kippen lassen können. Ursachen können z.B. die Fragmentierung von Landschaften durch Straßen oder Zäune sein, der Klimawandel, der Arten zwingt, ihr Verbreitungsgebiet zu verlagern, oder die Einführung gebietsfremder Pflanzen und Tiere.
“Wir stellen immer häufiger fest, dass viele gefährdete Arten an mehreren Standorten oder auf Landschaftsebene geschützt werden müssen”, fügt Blowes hinzu. “Mit unserer Studie zeigen wir, wie ein einfaches Konzept dazu beitragen kann, das Monitoring der Biodiversität zu verbessern, nämlich indem wir durch die Einbeziehung verschiedener Ebenen zu einem besseren und umfassenderen Verständnis des Biodiversitätswandels kommen.”