Wissenschaftler, NGOs und Vertreter von Standardorganisationen haben im Rahmen des EU-Projekts “CircHive” eine praxisnahe Orientierungshilfe für Lebensmittelunternehmen, Standardorganisationen sowie landwirtschaftliche Genossenschaften und Verbände entwickelt, berichtet die Bodensee-Stiftung.
Der Verlust der Biodiversität und der damit verbundenen Ökosysteme zählt neben dem Klimawandel zu den größten globalen Krisen. In Kombination mit dem Agrarsektor haben Lebensmittelproduzenten und Einzelhändler erheblichen Einfluss auf den Erhalt der biologischen Vielfalt. Im Rahmen des EU-Forschungsprojekts „CircHive“ haben Wissenschaftler, NGOs und Vertreter von Standardorganisationen ein ideales Rahmenwerk für Biodiversitätskriterien für Standards und Beschaffungsregeln im Lebensmittelsektor entwickelt. „Fundierte Biodiversitätskriterien in Lebensmittelstandards und Beschaffungsregeln sind ein wirkungsvolles Instrument, um den Schutz und die Förderung der biologischen Vielfalt im Lebensmittelsektor voranzutreiben“, betont Marion Hammerl, die als Senior Expertin der Bodensee-Stiftung im Projekt ”CircHive” mitarbeitet. Lebensmittelstandards tragen dazu bei, Qualität und Nachhaltigkeit in der landwirtschaftlichen Produktion sicherzustellen. Viele Unternehmen nutzen diese und haben zudem eigene Beschaffungsanforderungen.
Der entwickelte „Ideal Framework for Food & Biodiversity“ sei kein neuer Biodiversitätsstandard für die Zertifizierung, sondern eine praxisnahe Orientierungshilfe für Lebensmittelunternehmen, Standardorganisationen sowie landwirtschaftliche Genossenschaften und Verbände. Er unterstütze dabei, Biodiversitätsaspekte in bestehende Standards und Beschaffungsregeln zu integrieren. Zudem richte sich der Idealkatalog an politische Entscheidungsträger: Förderprogramme und Subventionsvergaben für die Landwirtschaft sollten Biodiversitätskriterien stärker berücksichtigen.
„Die Umsetzung gewährleistet den grundlegenden Schutz der bestehenden Biodiversität auf landwirtschaftlich genutzten Flächen, schafft Potenzial für mehr Lebensräume und Arten und trägt dazu bei, negative Auswirkungen landwirtschaftlicher Praktiken auf die Biodiversität zu vermeiden oder zu verringern“, sagt Marion Hammerl.
Inhalt des „Ideal Framework for Food & Biodiversity“
Der „Ideal Framework“ besteht aus drei Teilen. Der erste Teil enthält Empfehlungen für die Politik von Standardorganisationen und Lebensmittelunternehmen mit dem Ziel, die biologische Vielfalt in den allgemeinen Zielen und Strategien zu stärken. Die Empfehlungen beziehen sich u.a. auf den Geltungsbereich der Zertifizierung, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der gesamten Lieferkette, die Mitigation Hierarchy, die kontinuierliche Verbesserung und die Ausbildung.
Der zweite Teil beschreibt Kriterien auf Betriebsebene, die von Standardorganisationen und Unternehmen mit Beschaffungsanforderungen berücksichtigt werden sollten. Die Kriterien wurden entsprechend den fünf Hauptfaktoren für den Verlust der biologischen Vielfalt entwickelt. Sie umfassen den Schutz, die Bewirtschaftung und die Verbesserung der bestehenden biologischen Vielfalt - insbesondere den Schutz von Ökosystemen und Arten. Darüber hinaus zielen die Kriterien für eine sehr gute landwirtschaftliche Praxis darauf ab, Bodendegradation, Übernutzung der Wasserressourcen, Verunreinigung durch Pflanzenschutzmitteln und Düngemittel usw. zu vermeiden.
Das dritte Kapitel enthält Empfehlungen für die Akteure der Lebensmittellieferkette, insbesondere für Lebensmittelhersteller und Einzelhändler. Unter anderem geht es um Kosten und Finanzierung. „Hohe Umwelt- und Sozialstandards sind eine Investition in die Zukunft. Sie sind jedoch, ebenso wie der Schutz der biologischen Vielfalt, nicht zum Nulltarif zu haben“, betont Dr. Kerstin Fröhle, die ebenso seitens der Bodensee-Stiftung im Projekt arbeitet. „Eine verantwortungsvolle Umsetzung ist in der Regel mit höheren Kosten verbunden. Diese sollten nicht allein dem Landwirt auferlegt werden. Alle Akteure entlang der Lieferkette bis hin zum Lebensmittelproduzenten oder Einzelhändler müssen einen angemessenen Anteil an den Kosten oder Verlusten tragen. Dies ist Teil der unternehmerischen Verantwortung und Sorgfaltspflicht gegenüber den Erzeugern und der biologischen Vielfalt als wertvolles öffentliches Gut“, ergänzt sie.