Ernten, Schädlinge bekämpfen, Wasserzufuhr steuern: Wo die Chancen der Digitalisierung für den Gartenbau liegen, wurde während des Forums Zukunft Gartenbau Ende Juni in Heidelberg erörtert.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler präsentierten nationale und internationale Forschungsergebnisse und Entwicklungspfade und diskutierten Forschungsbedarf zum Gartenbau 4.0. Deutlich wurde, dass die Digitalisierung auch für diesen Arbeitsbereich zahlreiche Chancen bietet, etwa Arbeitserleichterungen für das Management und die Beschäftigten sowie eine Steigerung der Produktivität der Betriebe. Die Digitalisierung wird zudem neue, attraktive Arbeitsfelder hervorbringen.
Während des Forums in der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau in Heidelberg stand der Austausch der mehr als 100 Teilnehmenden zu ihren Forschungen rund um Digitalisierung im Gartenbau im Mittelpunkt. Organisiert wurde das Forum im Rahmen des Projekts HortiCo 4.0. Dieses Vernetzungs- und Transferprojekt nimmt organisatorische, fachliche und öffentlichkeitswirksame Aufgaben wahr und wird vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft koordiniert. Projektkoordinator Dr. Walter Dirksmeyer war erfreut, dass neben den Forschenden mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Forums aus Industrie, Beratung und Praxis kamen und sich über die neuen Entwicklungen informieren wollten.
Projekte zu Robotik und Ressourceneffizienz
In den Keynotes zeigte sich: Digitalisierung im Gartenbau dreht sich vor allem um innovative technische Lösungen. Dr. Jochen Hemming, der an der Wageningen University and Research (WUR) zu Robotik forscht, berichtete etwa über Bildanalysemethoden für Ernteprognosen bei Gerbera oder zur zerstörungsfreien Bestimmung der Fruchtqualität von Tomaten in den Niederlanden. Hemming stellte bereits entwickelte Ernteroboter, bspw. für Gurken, Schnittrosen, Paprika, Gerbera, Brokkoli, Äpfel und Birnen, vor. Sein Team forscht aktuell an einem multifunktionalen Obstgartenroboter, der mehrere Aufgaben wie Ernten, Schneiden und Fruchtausdünnung erledigen kann. Durch diese Multifunktionalität sind Roboter wirtschaftlicher im Betrieb einsetzbar. „Man darf nicht den Menschen simulieren, sondern muss den Produktionsprozess anpassen“, resümierte er seine Erkenntnisse.
An der Humboldt-Universität zu Berlin forscht Prof. Dr. Uwe Schmidt zur Biosystemtechnik, etwa zu KI-gestützten Managementsystemen für die Programmierung von Klimacomputern. Schmidt erläuterte, dass auch in Deutschland erste Ernteroboter in Gewächshäusern zum Einsatz kommen. Doch hat sich bei der Erdbeerernte gezeigt, dass die Roboter zwar schon ordentlich pflücken, es aber ohne menschliche Nachpflücker noch nicht geht.
Neben der Arbeitserleichterung unterstützen KI und Technik auch bei der Schädlingsbekämpfung. Stephan Hirl (Hirl Sonderkulturen) stellte das in den Niederlanden entwickelte System PATS-Drones vor: Im Gewächshaus fest installierte Kameras erkennen nachtaktive Insekten (Tuta absoluta und Duponchelia fovealis) und lösen den Einsatz vollautomatischer Minidrohnen aus, deren Propeller die Motten blitzschnell bekämpfen.
Forschungsschwerpunkt im Landwirtschaftsministerium
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat 2019 ein Förderprogramm “Innovationen für einen Gartenbau 4.0“ mit zwölf Millionen Euro Fördersumme geschaffen, das zwölf Forschungs- und Entwicklungsprojekte (FuE-Projekte) aus allen Bereichen des Erwerbsgartenbaus unterstützt. Zeitgleich mit den Forschungsprojekten startete das Vernetzungs- und Transferprojekt HortiCo 4.0. Im Förderschwerpunkt arbeiten mehr als 60 Institute, Forschungseinrichtungen und Unternehmen in ganz Deutschland an digitalen Lösungen für den Gartenbau.
Die Erkenntnisse der HortiCo 4.0-Begleitforschung stellte Dr. Martin Geyer vom Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie vor. Deutlich wurde dabei, dass die Schwerpunkte im effizienten und nachhaltigen Einsatz von Ressourcen durch Automatisierung bei der Bekämpfung von Schadinsekten, der Bewässerung und Düngung sowie bei der Klimasteuerung im Gewächshaus liegen.
Dr. Burkhard Schmied, Abteilungsleiter im BMEL, hob hervor, dass innovative Lösungen von zentraler Bedeutung seien, „um den heutigen Herausforderungen zu begegnen und den Wettbewerb zu sichern“. Digitalisierung liefere dafür einen wichtigen Beitrag.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Forums waren sich einig, dass die Chancen der Digitalisierung für den Gartenbau in Arbeitserleichterung und Produktivitätssteigerung liegen. Allerdings in Grenzen, denn ohne WLAN auf dem Feld funktioniert beispielsweise der Einsatz von Robotik nicht, wie Dr. Nadine Winkelmann (Spargelhof Winkelmann) zu berichten wusste. Auch Prof. Dr. Thomas Rath (Hochschule Osnabrück) dämpfte zu hohe Erwartungen mit dem Hinweis, dass es zusätzliche Entwicklungsarbeit brauche, bis Prototypen wirklich in der Praxis ankommen: „Der Schritt vom Labor in die Praxis ist im Gartenbau besonders schwierig und wird in der Regel unterschätzt.“ Dementsprechend wurden die Forschungslücken auch in eben dieser Anwendungsreife von Prototypen gesehen, aber auch im Nachweis der Wirtschaftlichkeit und der Frage, wie digitale Systeme in die Betriebe integriert werden können.
Positiv bewertet wurden sowohl die Chancen für neue, attraktive Arbeitsfelder und -plätze im Gartenbau als auch die Potenziale an den Schnittstellen von Betrieb, vor- bzw. nachgelagerten Bereichen und Verbraucherinnen und Verbrauchern. Hermann Solbach (Weihnachtsbaumkulturen Solbach) hatte hierzu bereits konkrete Vorstellungen: „Die Kunden reservieren sich bereits im Herbst zu Hause über ein StreetView-ähnliches System einen Weihnachtsbaum in der Plantage.“