Mit eigenem botanischen Sammlungsmaterial und ihrem Forschungswissen zur Evolution der Kreuzblütler, den Kohlgewächsen, haben Biowissenschaftler der Universität Heidelberg an einer internationalen Großstudie mitgewirkt, die einen umfassenden „Stammbaum des Lebens“ für Blütenpflanzen erstellt hat, so die Uni Heidelberg.
Für diesen Stammbaum analysierten Forscherinnen und Forscher weltweit unter Federführung der Royal Botanic Gardens in Kew (Großbritannien) die Erbinformation von mehr als 9.500 Arten aus fast 8.000 Gattungen – neben bekannten, heute auf der Erde beheimateten Pflanzenarten wurden auch die genetischen Codes jahrhundertealter Sammlungsbelege und bereits ausgestorbener Exemplare untersucht. Für ihre Mitwirkung an dem Stammbaum-Projekt nutzten die Heidelberger Wissenschaftler vom Centre for Organismal Studies das umfangreiche Forschungsmaterial aus Lebendsammlungen, Saatgutsammlung und Herbarium.
Am Centre for Organismal Studies (COS) der Universität Heidelberg forscht die Abteilung „Biodiversität and Systematik der Pflanzen“ unter der Leitung von Prof. Dr. Marcus Koch zur Entstehung von Arten und biologischer Vielfalt sowie der Aufklärung und Beschreibung der zugrundeliegenden evolutionären Prozesse. Einen Schwerpunkt bilden die Kohlgewächse. Dazu gehören neben Kulturpflanzen auch wissenschaftliche Modellpflanzen wie die Ackerschmalwand, in der Fachbezeichnung Arabidopsis thaliana. Für ihre Forschungsarbeiten greifen die Heidelberger Wissenschaftler vor allem auf Pflanzenmaterial mit einer dokumentierten Geschichte und Herkunft zurück. „In den vergangenen mehr als 25 Jahren haben wir auf zahlreichen Forschungsreisen und Expeditionen dieses Material zusammengetragen und in den von uns kuratierten Sammlungen hinterlegt“, so Prof. Koch, der auch den Botanischen Garten der Universität Heidelberg – er umfasst nahezu 10.000 Pflanzenarten in Lebendkultur – leitet.
Von besonderem Interesse sind für Marcus Koch und sein Team vor allem Herbarien, in denen Pflanzen und Pflanzenteile getrocknet oder gepresst für wissenschaftliche Zwecke konserviert werden. Das Herbarium in Heidelberg umfasst fast 500.000 Belege. „Aus getrockneten Pflanzen kann auch noch nach Jahrhunderten die DNA, die Erbinformation, isoliert und für evolutionäre Analysen verwendet werden“, erläutert Prof. Koch. Von großer Bedeutung für die Forschungsarbeit sind auch Saatgutbanken. Unter optimalen Umständen kann auch jahrhundertealtes Pflanzenmaterial wieder zum Keimen gebracht werden, so der Wissenschaftler, der seit 2003 als Professor für Pflanzensystematik, Biodiversität und Evolution an der Universität Heidelberg lehrt und forscht. Zur Familie der Kohlgewächse haben die Forscherinnen und Forscher des COS sowohl eine umfangreiche Sammlung an Herbarbelegen und Saatgut mit Tausenden von Proben als auch eine umfassende Wissensdatenbank mit dem Namen „BrassiBase“ aufgebaut. Ergänzend zu dem eigenen Forschungsmaterial nutzen sie Bestände, die sich in anderen deutschen und internationalen Sammlungen befinden.
Das Heidelberger Forschungswissen zu den evolutionären Prozessen der Kreuzblütler und der Entstehung ihrer Arten ist in den jetzt vorgestellten „Stammbaum des Lebens“ für Blütenpflanzen eingeflossen. Blütenpflanzen machen rund 90 % aller bekannten Pflanzen auf dem Land aus, sind praktisch überall auf der Erde zu finden und werden als Nahrung, Rohstoff oder Energiequelle genutzt. Vor mehr als 140 Mio Jahren entstanden, beschäftigt die Forschung bis heute die Frage, wie sie diese „Dominanz“ gegenüber anderen Pflanzen entwickeln konnten. Der Stammbaum – unter den 9.500 analysierten Arten sind allein 800 Blütenpflanzen, deren DNA bis dahin noch gar nicht sequenziert worden war – ermöglicht nun neue Einblicke in ihre Entstehung und Verwandtschaftsbeziehungen. Die Daten werden dazu beitragen, neue Arten zu identifizieren, die Klassifizierung von Pflanzen zu verfeinern, neue medizinische Wirkstoffe zu entdecken und Pflanzen angesichts des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt zu erhalten, wie die Initiatoren des Projekts hervorheben. Weltweit haben an der Großstudie 279 Forscherinnen und Forscher von 138 Organisationen mitgearbeitet.