Mehr als 1.000 Demonstrierende haben sich am Dienstag (4. Juni) zu Protesten in Brüssel versammelt, berichten Maria Simon Arboleas und Sofia Sanchez Manzanaro für das europäische Magazin Euractiv, um gegen europäische Umweltvorschriften und Handelsabkommen zu protestieren. Neben Menschen seien auch Traktoren vertreten gewesen, über 500 an der Zahl.

Die Teilnehmenden stammten hauptsächlich aus den Niederlanden, aus Belgien und Deutschland, die Atmosphäre habe einem Volksfest geglichen, mit deutschen Techno-Hits am Vormittag und einem Warenstand der niederländischen “Farmers Defense Force” (FDF), die als Organisator der Demonstration angegeben war. Die FDF greift zu militanter Sprache, bezeichnet Landwirte als “Krieger” und “Verteidiger” und ruft auf dem Nachrichtendienst X dazu auf, sich auf die “Schlacht vorzubereiten”.

Distanzierung deutscher Verbände

Auch die Coordination Rurale (Frankreich), die Agricoltori Italiani (Italien), die Plataforma 6 (Spanien) und die Solidarność (Polen) waren vertreten, ebenso die LsV Deutschland, der wiederholt vorgeworfen wurde, rechtspopulistische Positionen zu vertreten. Sprecher der LSV Deutschland ist Anthony Lee, der Anfang des Jahres in einem Interview davon sprach, dass landwirtschaftliche Flächen von der Politik für den Bau von Flüchtlingsunterkünften genutzt werden sollen. Die größten Bauernverbände aus Deutschland hatten sich im Vorfeld der jüngsten Demonstrationen von dem Brüsseler Protesttag distanziert, berichtet dazu die Nachrichtenseite zeit.de. Der Deutsche Bauernverband konnte “den Mitgliedern nicht empfehlen, an dem Protest teilzunehmen, da ihnen die Organisatoren aus den anderen EU-Ländern nicht bekannt seien”, wird ein Bauernverband-Sprecher dort zitiert. Für Bernd Schmitz, Mitgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), seien die Demonstranten “zu radikal”: “Ich war bei den Bauernprotesten in Brüssel im Februar dabei. Ich habe gesehen, mit welcher Gewalt und Machtdemonstration viele Landwirte vorgegangen sind. Wie sie Barrikaden niederwarfen. Das war sehr erschreckend”, so Schmitz gegenüber der Seite desmog.com.

Keine großen Verbände aus Italien und Frankreich

In Italien haben die größten Landwirtschaftsverbände Coldiretti und Confagricoltura, ebenso kleinere Verbände wie CopAgri und Cia, ihre Abwesenheit bei den jüngsten Demonstrationen damit erklärt, dass sie die neuen rechtspopulistischen und -extremen Bewegungen der europäischen Landwirte kritisch sähen, so die Seite desmog.com. Die französische Vereinigung “Coordination Rurale” war ebenfalls anwesend, ihr wird eine enge Verbindung zur rechtspopulistischen Partei “Rassemblement National” nachgesagt. Die größte französische Vereinigung, FNSEA (Fédération Nationale des Syndicats d’Exploitants Agricoles) hingegen war ebenfalls nicht vor Ort, eine Sprecherin gab gegenüber desmog.com an, dass sie “sehr überrascht wäre”, würden Mitglieder der Vereinigung an den Protesten teilnehmen.

Falschinformationen der Redner

Gegenüber Euractiv hatte FDF-Vizepräsident Jos Ubels die Nähe zum Rechtspopulismus abgestritten und sich als “einfach nur Opposition” bezeichnet. Während dieser während der Veranstaltung das “Gesetz zur Wiederherstellung der Natur” als Ursache der Härten im Agrarsektor verantwortlich machte, sei das EU-Vorhaben noch nicht einmal in trockenen Tüchern, stellen Arboleas und Manzanaro auf Euractiv klar. Denn während zahlreiche Regierungen, darunter auch Deutschland, NGOs und Forschende zugunsten einer Verabschiedung des Gesetzes drängen, werde das Gesetz von einer “überraschenden Sperrminorität”, darunter die Niederlande und Österreich, weiterhin blockiert. “Die Versammlung wurde schnell zu einer Veranstaltung im Vorfeld der Wahlen”, berichten die beiden Autorinnen über die Proteste am 4. Juni, einige der Reden hätten Verschwörungstheorien berührt, etwa Desinformationen über Lebensmittel auf Insektenbasis oder Anti-Impf-Botschaften.

Proteste der Landwirte mit Traktoren

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Die Proteste in Brüssel könnten kein gutes Licht auf den Berufsstand der Landwirte werfen, findet Leif Miller, und ruft zur Dialogbereitschaft und friedlichem, konstruktivem Vorgehen auf.−

Gefährliche Proteste

Wie gefährlich diese Demonstrationen für die Landwirte tatsächlich sind, hat Leif Miller, Direktor des NABU, in einem ebenfalls am 4. Juni erscheinenden Gastbeitrag auf Euractiv dargelegt. Die Proteste in Brüssel hätten eine neue, besorgniserregende Qualität erreicht, stellt er dort fest. Organisiert würden die Demos durch Verbände, die immer wieder durch ihre “Nähe zum rechtspopulistischen bis rechtsextremen Spektrum” aufgefallen seien. Und ebendiese Nähe werfe kein gutes Licht auf den Berufsstand der Landwirte, so Miller, denn die Aktionen dieser Verbände dienten reinem Machtgewinn, nicht etwa der Vertretung bäuerlicher Interessen.

Legitime Interessen brauchen Zukunftsgestaltung

Die Anliegen der Landwirte seien allerdings “legitim und nachvollziehbar”, findet der NABU-Geschäftsführer. Eine fehlgeleitete Agrarförderpolitik mit ebenso fehlgeleiteten Zugeständnissen habe vermeintlich Bürokratie, letztlich jedoch Umweltstandards abgebaut, was Probleme nicht löse, sondern langfristig verschlimmere. Landwirte seien für Betriebsgrößen, nicht für ihren “Einsatz für das Gemeinwohl” belohnt worden.

Ein ‘Weiter so’ sei angesichts der ökologischen und sozialen Herausforderungen keine Option mehr, betont Miller in seinem Gastbeitrag auf euractiv.de. “Schon heute treibt die aktuelle Landwirtschaftspraxis die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten in die Höhe. Wenn Landwirt*innen inmitten von Spardebatten und sozialen Einschnitten weiterhin den größten Teil der Fördermittel aus dem EU-Budget erhalten wollen, dürfen sie sich der Zukunftsgestaltung nicht verweigern”, heißt es dort weiter. Es brauche stabile Agrarökosysteme als Grundlage, mit gesunden, humusreichen Böden und einer Vielfalt bei Flora und Fauna in der Agrarlandschaft, dazu intakte Moore und Grünland, zählt er auf.

Dialogbereitschaft für langfristige Lösungen 

Und es gebe sie, stellt er abschließend fest: “Die Landwirt*innen, die für mehr Klima– und Naturschutz, für faire Preise und für die Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten auf die Straße gehen.” Als Beispiel nennt er die landwirtschaftliche Initiative ‘Good Food Good Farmer’, die sich bei einer friedlichen Demo “ganz konstruktiv dafür starkgemacht” habe, ökologische und soziale Lösungen für die aktuellen Probleme des Agrarsektors zu finden. “Der wütende Mob im Brüsseler Regierungsviertel wäre gut beraten, sich daran ein Beispiel nehmen. Brennende Reifen und Liebäugeleien mit den Rechten werden die Herausforderungen der Landwirtschaft nicht lösen. Dialogbereitschaft, Lösungsorientierung und Weitblick für die Krisen unsere Zeit hingegen schon”, endet NABU-Geschäftsführer Leif Miller auf euractiv.de.