Scharfe Kritik am derzeitigen Gentechnikrecht und der damit in Deutschland und der Europäischen Union verbundenen Zulassungspraxis hat der Leiter des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, Prof. Matin Qaim, geübt. „Das de facto-Verbot insbesondere für neue Züchtungstechniken ist einfach wissenschaftlich nicht begründet, es schadet der Nachhaltigkeit“, erklärte der Agrarökonom auf der Jahrestagung der Deutschen Botanischen Gesellschaft in Bonn.
„Wir sind dumm, wenn wir das weiter so aufrechterhalten“, bekräftige Qaim. Er forderte mehr Objektivität und Ehrlichkeit in den Debatten. Die Regulierung müsse viel stärker anhand von wissenschaftlicher Evidenz und nicht „irgendwelcher Halbwahrheiten“ erfolgen. Nach Einschätzung des Wissenschaftlers verschärft die derzeitige Zulassungspraxis, bei der am Ende die Politik entscheide, die ablehnende Haltung der Gesellschaft. Wenn nach aufwändigen Tests keine Genehmigung erteilt werde, sei doch der naheliegende Schluss zunächst, dass „irgendetwas faul“ sein müsse. Qaim wies zudem auf die hohen Entwicklungskosten und deren Folgen hin. Aktuell sei die Markteinführung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen allenfalls von den großen Konzernen zu stemmen; die kleinen und mittelständischen Unternehmen und Universitäten seien durch die Überregulierung längst aus dem Markt gedrängt worden. Und selbst die Konzerne würden angesichts der derzeitigen Rahmenbedingungen nur Kulturarten mit großem Marktpotenzial entwickeln, was einer größeren Vielfalt entgegenstehe. Ausdrücklich betonte Qaim, dass die modernen Methoden der Pflanzenzucht kein Allheilmittel seien und auch nicht losgelöst von anderen Fortschritten betrachtet werden dürften: „Niemals sollte züchterisch Innovation als Ersatz für gut fachliche Praxis verstanden werden.“ Notwendig sei stets eine Kombination mit lokal angepassten, nachhaltigen Systemen und mehr Vielfalt. Die Technologien seien immer auch geeignet, auf kleinräumigen Strukturen zum Einsatz zu kommen.
Impulse für eine Veränderung des Status quo erwartet der Wissenschaftler vor allem von außerhalb der Europäischen Union. „Ich würde mir wünschen, dass einige Entwicklungsschwellenländer dem Beispiel der Philippinnen folgen und sagen, wir schreiten jetzt voran“, so Qaim. Der Inselstaat hatte im vergangenen Jahr eine Anbaugenehmigung für den gentechnisch veränderten „Goldenen Reis“ erteilt. Auch das Vereinigte Königreich sei immer führend im Bereich der klassischen Gentechnik und der Genomeditierung gewesen; vielleicht liege hier einer der „Vorteile des Brexit“, so der Wissenschaftler. Er geht davon aus, dass mehr und mehr von kleineren Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen entwickelte gentechnisch veränderte Pflanzen letztlich eine „gesündere“ Debatte in der EU bewirken können. AgE