Biotechnologische Pflanzenschutzmittel sind eine vielversprechende Alternative zu herkömmlichen chemischen Pflanzenschutzmittel. Noch besteht aber wenig Wissen darüber, wie giftig sie für andere Organismen in der Umwelt sind, abgesehen von behördlichen Bewertungen, berichten Forscher der Universität Kopenhagen.

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Kartoffelkäfer

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Ein neues Forschungszentrum wird nun daran arbeiten, dieses Wissen bereitzustellen - vor allem um sicherzustellen, dass die EU eine Chance hat, am wachsenden Markt für biotechnologische Pestizide teilzunehmen. Bislang habe Europa nicht Schritt gehalten. „Wenn etwas etwas vernichtet, müssen wir wissen, wie es das macht und wen und was es sonst noch vernichten könnte“, sagt Prof. Nina Cedergreen vom Fachbereich für Pflanzen- und Umweltwissenschaften der Universität Kopenhagen.

Sie bezieht sich auf biotechnologische Pflanzenschutzmittel, genauer gesagt auf solche Mittel, die aus rein natürlichen RNA- und Peptidmolekülen bestehen, die zur Bekämpfung von Krankheiten und Schädlingen in landwirtschaftlichen Kulturen entwickelt wurden und modernste Biotechnologien nutzen. In einigen Ländern werden sie als Bio-Pflanzenschutzmittel eingestuft und gelten als weniger gefährlich für die Umwelt und die öffentliche Gesundheit als herkömmliche chemische Pflanzenschutzmittel, deren Einsatz politisch angestrebt wird.

In der EU sind noch keine RNA- oder Peptidprodukte zugelassen, aber in der übrigen Welt gewinnen sie an Bedeutung.

„Biotechnologische Pflanzenschutzmittel sind vielversprechend, um die ständig wachsende weltweite Nahrungsmittelproduktion unabhängiger von chemischen Pflanzenschutzmittel zu machen. Die Hersteller behaupten, dass biotechnologische Pflanzenschutzmittel umweltverträglich sind, weil sie auf der natürlichen Biologie beruhen. Tatsache ist, dass es sich dabei um toxische Substanzen handelt, die Schädlinge und Krankheiten abtöten, aber wir fangen gerade erst an, ihre Umweltauswirkungen zu bewerten. Das werden wir versuchen, voranzutreiben“, sagt die Professorin.

Cedergreen leitet ENSAFE, ein großes neues Forschungszentrum, das von der Novo-Nordisk-Stiftung mit 8 Mio Euro finanziert wird. Neben Cedergreen besteht das Forschungskonsortium aus Jan Gorodkin von der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Kopenhagen, Jeppe Lund Nielsen von der Universität Aalborg sowie David Spurgeon und Helen Hesketh vom britischen Centre for Ecology & Hydrology. Gemeinsam werden sie evidenzbasierte Erkenntnisse über die Risiken von Bio-Pflanzenschutzmitteln auf RNA- und Peptidbasis liefern.

Eine Bedrohung für Marienkäfer und mögliche Allergene?

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Pflanzenschutzmittel auf RNA-Basis wirken, indem sie identifizierbare Gene in bestimmten Insektenschädlingen, Virus- oder Pilzkrankheiten ausschalten, so dass diese absterben oder nicht mehr lebensfähig sind. „Wir wissen noch nicht, ob RNA-Pflanzenschutzmittel nur die Schädlinge abtöten, auf die wir abzielen, denn es gibt nur wenige öffentlich zugängliche Daten darüber, wie sie sich auf Nützlinge und andere nützliche Kreaturen auswirken. Wie können wir bspw. wissen, ob ein Toxin nur den Kartoffelkäfer und nicht auch Marienkäfer angreift? Unsere Hypothese ist, dass es verwandte Tiere geben muss, die ebenfalls empfindlich auf RNA-Erreger reagieren. Das ist eine Hypothese, die wir testen wollen“, sagt Nina Cedergreen.

Pflanzenschutzmittel auf Peptidbasis wirken, indem sie bestimmte Enzyme in Schädlingen oder Mikroorganismen, die Pflanzenkrankheiten verursachen, abschwächen. Peptide können z.B. Hormone oder Abwehrstoffe sein. Insulin beim Menschen und Spinnengift sind Beispiele für Peptide. „Peptide sind zwar natürliche Verbindungen, aber wir wissen, dass die meisten menschlichen Allergien tatsächlich durch Peptide ausgelöst werden, einschließlich Pollen- und Sojaallergien. Was und wie viel braucht es also, damit Peptide das Immunsystem von anderen Organismen als dem Menschen auslösen? Das sind einige der Fragen, die wir beantworten müssen“, sagt Nina Cedergreen.

Die Forscher wollen zwei übergreifende Fragen beantworten: In welchem Ausmaß können Menschen und Organismen biotechnologischen Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt sein, wenn diese gezielt in der Landwirtschaft eingesetzt werden? Und in welchem Maße sind diese Mengen giftig? „Mit diesem Wissen können wir das Gesamtrisiko eines Pflanzenschutzmittels einschätzen. Wenn ein Toxin schnell aus der Umwelt verschwindet, ist das Risiko für Mensch und Umwelt in der Regel relativ gering, da wir ihm nicht ausgesetzt sind. Es ist jedoch bekannt, dass z.B. Peptide recht lange brauchen, um abgebaut zu werden. Bleiben also Gifte vom Feld in unseren Lebensmitteln, wenn sie im Supermarkt ankommen? Das ist es, was wir wissen müssen“, sagt die Professorin.

Pflanzenschutz

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Europa hinkt weit hinterher

In vielen Ländern haben die Behörden ihren Ansatz in Bezug auf Bio-Pflanzenschutzmittel angepasst. In den USA, Südamerika und Asien sind bereits mehrere Produkte im Einsatz. In der Europäischen Union ist die Situation anders.

Das Forschungszentrum ENSAFE wird auch untersuchen, ob es möglich ist, mit Hilfe von Werkzeugen des maschinellen Lernens vorherzusagen, welche Organismen auf bestimmte biotechnologische Pflanzenschutzmittel empfindlich reagieren werden. „Mit den schnell wachsenden Genom-Datenbanken als Input können wahrscheinlich KI-Tools entwickelt werden, um Arten auf die Genkombinationen zu untersuchen, die die biotechnologischen Pflanzenschutzmittel ausschalten sollen. Dies würde es ermöglichen, die von der Industrie zu Zulassungszwecken geforderten Studien auf die empfindlichsten Arten auszurichten“, sagt Jan Gorodkin.

Unabhängig davon, ob es sich bei einem Pflanzenschutzmittel um ein natürliches oder ein chemisch-synthetisches Produkt handelt, müssen sie in der EU dasselbe restriktive Zulassungsverfahren durchlaufen, das in der Regel fünf bis zehn Jahre dauert und die Antragsteller rund 45 Mio Euro kostet. Das Problem bestehe jedoch nicht nur darin, dass das Zulassungssystem in der EU langsam und teuer ist - es sei auch nicht auf die neuen biotechnologischen Pflanzenschutzmittel ausgerichtet.

Prof. Cedergreen erklärt: „Das europäische Zulassungssystem ist speziell auf chemische Pflanzenschutzmittel zugeschnitten, was zu einigen merkwürdigen Widersprüchen führt. Zum Beispiel kann das System verlangen, dass man einen Siedepunkt für eine Substanz angibt, die aus lebenden Mikroben besteht, was eindeutig nicht zutrifft. Dies macht deutlich, dass bestimmte Aspekte des derzeitigen Zulassungsverfahrens einfach keinen Sinn ergeben. Sie verweist auf den Zeithorizont als weiteres kritisches Hindernis: Viele Unternehmen entwickeln derzeit biotechnologische Pflanzenschutzmittel. Start-ups können es sich jedoch nicht leisten, lange zu warten, bis sie wissen, ob sie einen Markt haben und Geld verdienen können. Deshalb blicken sie über Europa hinaus und lassen uns zurück. Das ist das Dilemma, vor dem Europa steht. Wir wollen darauf achten, was wir auf unsere Lebens- und Futtermittel sprühen. Aber es ist unklug, wenn wir so restriktiv sind, dass wir die biotechnologische Entwicklung verpassen, die in der ganzen Welt boomt. Solche Entwicklungen können potenziell bessere und weniger umweltschädliche Pflanzenschutzmittel hervorbringen, die letztendlich die chemischen Pflanzenschutzmittel ersetzen werden“.

Ziel des neuen Forschungszentrums ist es daher, die Instrumente zu entwickeln, die die EU benötigt, um die Umweltrisiken der verschiedenen Bio-Pflanzenschutzmittel effizient zu bewerten. „Wir müssen das Wissen schaffen, das uns fehlt, um neue biotechnologische Pflanzenschutzmittel auf sichere Weise zu regulieren, und zwar auf eine Weise, die intelligenter und schneller ist als der Prozess, den Chemikalien derzeit in der EU durchlaufen müssen“, schließt Prof. Cedergreen.