In einer neuen Studie unter der Leitung von Charles Underwood vom Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung (MPIPZ) in Köln haben Forschende ein System zur Erzeugung klonaler Geschlechtszellen in Tomatenpflanzen entwickelt und diese zur Entwicklung der Genome der Nachkommen verwendet.
Die Befruchtung einer klonalen Eizelle eines Elternteils durch ein klonales Spermium eines anderen Elternteils führte zu Pflanzen, die die vollständige genetische Information beider Elternteile enthielten, so das MPIPZ.
Hybridsaatgut, bei dem zwei verschiedene Elternlinien mit spezifischen vorteilhaften Eigenschaften kombiniert werden, ist in der Landwirtschaft sehr beliebt. Es bringt robuste Pflanzen mit erhöhter Produktivität hervor, und wird von Landwirten seit über hundert Jahren genutzt. Die gesteigerte Leistung von Hybriden ist allgemein als Hybridvitalität oder Heterosis bekannt und wurde bei vielen verschiedenen Pflanzen- (und Tier-)arten beobachtet. Allerdings bleibt der Heterosis-Effekt in den nachfolgenden Generationen dieser Hybriden aufgrund der Segregation der genetischen Information nicht mehr bestehen. Daher muss jedes Jahr neues Hybridsaatgut produziert werden, ein arbeitsintensives und teures Unterfangen, das sich nicht für jede Kulturpflanze eignet.
Wie können also die vorteilhaften Eigenschaften, die in den Genen von Hybridpflanzen kodiert sind, auf die nächste Generation übertragen werden?
Normalerweise wird unser genetisches Material während der Meiose - einer entscheidenden Zellteilung, die bei allen sich sexuell fortpflanzenden Organismen stattfindet - neu gemischt. Diese Neuordnung durch zufällige Trennung der Chromosomen und meiotische Rekombination ist von entscheidender Bedeutung für die Entstehung neuer und vorteilhafter genetischer Konfigurationen in natürlichen Populationen sowie bei der Züchtung. In der Pflanzenzüchtung möchte man jedoch eine einmal gefundene Kombination beibehalten und nicht durch erneute Vermischung der Gene wieder verlieren. Ein System, das die Meiose umgeht und zu Geschlechtszellen (Ei- und Samenzellen) führt, die genetisch mit den Eltern identisch sind, könnte verschiedene Anwendungen haben.
In dieser Studie etablierten Underwood und sein Team ein System, in dem sie die Meiose durch Mitose, eine einfache Zellteilung, in der beliebtesten Gemüsepflanze, der Kulturtomate, ersetzen. Im so genannten MiMe-System (Mitose statt Meiose) imitiert die Zellteilung eine Mitose, umgeht so die genetische Rekombination und Segregation und erzeugt Geschlechtszellen, die exakte Klone der Mutterpflanze sind. Das Konzept des MiMe-Systems wurde zuvor von MPIPZ-Direktor Raphaël Mercier in Arabidopsis und Reis entwickelt. Ein bahnbrechender Aspekt der neuen Studie ist, dass die Forschenden zum ersten Mal die klonalen Geschlechtszellen nutzten, um Nachkommen durch einen Prozess zu erzeugen, den sie “polyploides Genomdesign” nennen.
Normalerweise haben Geschlechtszellen einen halbierten Chromosomensatz (beim Menschen werden 46 Chromosomen auf 23 reduziert; bei der Tomate werden 24 Chromosomen auf zwölf reduziert). Die MiMe-Geschlechtszellen dagegen sind klonal und daher findet diese Halbierung des Chromosomensatzes nicht statt. Underwood und sein Team führten Kreuzungen durch, bei denen die klonale Eizelle einer MiMe-Tomatenpflanze mit einem klonalen Spermium einer anderen MiMe-Tomatenpflanze befruchtet wurde. Die daraus resultierenden Tomatenpflanzen enthielten das gesamte genetische Repertoire beider Elternteile - und bestehen somit aus 48 Chromosomen. Somit sind alle vorteilhaften Eigenschaften beider Hybrid-Elternteile in einer neuartigen Tomatenpflanze vereint - und das mit Absicht. Aufgrund der engen genetischen Verwandtschaft zwischen Tomaten und Kartoffeln geht das Team um Underwood davon aus, dass sich das in dieser Studie beschriebene System problemlos auf die Kartoffel übertragen lässt. Die Kartoffel gilt als die fünftwertvollste Kulturpflanze der Welt, und möglicherweise lässt sich das System auch auf andere Kulturpflanzenarten anwenden.
Angesichts steigender Bevölkerungszahlen und klimatischer Veränderungen ist die Entwicklung ertragsstarker, nachhaltiger und stabiler Sorten entscheidend für die langfristige Sicherung der Welternährung. Daher ist es entscheidend, Pflanzen zu züchten, die eine erhöhte Krankheitsresistenz und Stresstoleranz aufweisen. Die Entwicklung innovativer Ansätze für Techniken der Pflanzenvermehrung ist von entscheidender Bedeutung. Das MiMe-System und seine Anwendung in der polyploiden Genomforschung könnten ein vielversprechender Weg sein, um die heutigen Herausforderungen in der Landwirtschaft zu bewältigen.
„Wir sind begeistert von der Möglichkeit, klonale Geschlechtszellen für das polyploide Genomdesign zu nutzen. Wir sind überzeugt, dass dies den Züchter:innen erlauben wird, weitere Heterosis - die progressive Heterosis, die in Polyploiden zu finden ist - auf kontrollierte Weise zu erschließen“, sagt Charles Underwood. „Das MiMe-System für Tomaten könnte in Zukunft auch als Bestandteil der klonalen Saatguterzeugung - der synthetischen Apomixis - eingesetzt werden. Dies könnte zu massiven Kosteneinsparungen bei der Produktion von Hybridsaatgut führen“, erklärt Yazhong Wang.