Die EU-Kommission hat im Mai 2020 die „Farm-to-Fork“-Strategie vorgelegt, die Teil des „European Green Deal“ ist. Das Ziel ist es, die europäische Landwirtschaft und das Ernährungssystem nachhaltiger zu gestalten. Insbesondere soll der Anteil des ökologischen Landbaus an der Agrarwirtschaft innerhalb der EU bis 2030 auf 25 % erhöht werden. Diese Steigerung gewährleistet jedoch, wenn es bei der derzeitigen EU-Rechtslage bleibt, keineswegs mehr Nachhaltigkeit, wie ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung der Universitäten Bayreuth und Göttingen in einer aktuellen Studie zeigt.
Zahlreiche Anwendungen neuer biotechnologischer Verfahren werden durch das geltende EU-Recht stark beschränkt oder sogar verboten. Dies gilt insbesondere für die Genom-Editierung, bei der die sogenannte Gen-Schere zum Einsatz kommt. „Den Ökolandbau unter den gegenwärtigen rechtlichen Beschränkungen der Biotechnologie weiter auszudehnen, könnte leicht zu weniger anstatt zu mehr Nachhaltigkeit führen. Dabei bietet gerade die Gen-Schere vielversprechende Potenziale für eine nachhaltige Agrarwirtschaft“, so Kai Purnhagen, Erstautor der Studie und Professor für Lebensmittelrecht an der Universität Bayreuth.
Der Ökolandbau setzt auf mehr Diversität und verbietet den Einsatz chemischer Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Deshalb kann er sich auf lokaler Ebene vorteilhaft auf den Umwelt- und Artenschutz auswirken. Verglichen mit konventionellem Anbau liefert der Ökolandbau allerdings auch niedrigere Erträge. Folglich werden für die Produktion der gleichen Menge hochwertiger Lebensmittel mehr Flächen benötigt. „Da die weltweite Nachfrage nach Lebensmitteln steigt, würde mehr Ökolandbau in der EU zu einer Ausdehnung der Ackerfläche anderswo in der Welt führen. Dadurch könnten leicht Umweltkosten entstehen, die den lokalen Umweltnutzen in der EU übersteigen, denn die Umwandlung von Naturflächen in Ackerland ist einer der größten Treiber des globalen Klimawandels und Artenschwunds“, sagt Koautor Matin Qaim, Professor für Agrarökonomie an der Universität Göttingen.
Die Kombination von Ökolandbau und neuen biotechnologischen Verfahren könnte ein Weg sein, um dieses Dilemma aufzulösen. „Die Gen-Schere bietet uns einzigartige Möglichkeiten, die Produktion von Nahrungsmitteln nachhaltiger zu gestalten und die Qualität, aber auch die Sicherheit von Nahrungsmitteln weiter zu verbessern. Mit Hilfe der Gen-Schere können robustere Pflanzen entwickelt werden, die auch mit weniger Dünger hohe Erträge liefern“, sagt Ko-Autor Stephan Clemens, Professor für Pflanzenphysiologie an der Universität Bayreuth. Darüber hinaus lassen sich pilzresistente Pflanzen züchten, die im Ökolandbau ohne kupferhaltige Pflanzenschutzmittel gedeihen. Kupfer ist für Boden- und Wassertiere besonders giftig, der Einsatz zur Pilzbekämpfung ist im Ökolandbau aber wegen des bisherigen Mangels an nicht-chemischen Alternativen dennoch erlaubt. „Ökolandbau und Gen-Schere ergänzen sich also sehr gut und könnten kombiniert zu mehr lokaler und globaler Nachhaltigkeit beitragen“, sagt Qaim.
Für den Einsatz von Gentechnik im Ökolandbau bedarf es allerdings rechtlicher Änderungen auf EU-Ebene. „Hierfür gibt es aktuell sicher keine politische Mehrheit, weil die Gentechnik von vielen sehr kritisch gesehen wird“, sagt Purnhagen. „Aber vielleicht kann durch verbesserte Kommunikation schrittweise eine größere gesellschaftliche Offenheit zumindest für die Gen-Schere entstehen. Denn diese Form der Gentechnik ermöglicht sehr gezielte Züchtungen, ohne dass fremde Gene in die Pflanzen eingeschleust werden müssen. In diesem Punkt könnten sich viele der weitverbreiteten Gentechnikängste ausräumen lassen.“