Pflanzen machen den Großteil der Biomasse an Land aus und weisen eine große Vielfalt auf. Diese geht auf ein Ereignis zurück, das in der Erdgeschichte einmalig ist: der Landgang der Pflanzen, so die Universität Göttingen.
Damals entwickelte sich eine Gruppe aquatischer Algen zu den ersten Pflanzen, die weltweit Land als neuen Lebensraum eroberten. Nachkommen dieser Algen werden noch heute im Labor untersucht, um die Evolution zu enträtseln. Nun hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Göttingen für die einzellige Alge Mesotaenium endlicherianum, ein Vertreter der engsten Verwandten der Landpflanzen, einen großen Datensatz zur Genexpression erstellt und daraus molekulare Netzwerke ermittelt. Dabei zeigten sich Gemeinsamkeiten zwischen der Alge und Landpflanzen. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Nature Plants erschienen.
Die Forschenden untersuchten einen Stamm der Alge, der seit mehr als 25 Jahren in der Sammlung von Algenkulturen der Universität Göttingen verwahrt wird. Mit einem Versuchsaufbau, den es so nur dort gibt, setzten sie die Alge stetig verschiedenen Lichtintensitäten und Temperaturen aus. Janine Fürst-Jansen, Wissenschaftlerin aus der Abteilung Angewandte Bioinformatik, erklärt: „In unserer Studie haben wir zunächst die Widerstandsfähigkeit der Alge untersucht. Wir setzten sie einem breiten Temperaturbereich von acht bis 29 Grad Celsius aus. Als wir in der physiologischen Analyse die große Temperatur- und Lichttoleranz im Zusammenspiel beobachteten, waren wir fasziniert.“
Die Forschenden untersuchten nicht nur auf morphologischer und physiologischer Ebene, wie die Alge auf Licht und Temperatur reagiert. Sie lasen zudem bei etwa zehn Milliarden RNA-Schnipseln die darin verschlüsselte genetische Information aus. Dabei erfassten sie mit einer Netzwerkanalyse die Aktivität von fast 20.000 Genen gleichzeitig. In den gemeinsamen Mustern identifizierten sie Gene, die als Knotenpunkte eine zentrale Rolle beim Koordinieren der Genexpression als Reaktion auf unterschiedliche Umweltsignale haben. Der Ansatz lieferte wertvolle Einblicke in die Art und Weise, wie die Genexpression bei der Alge reguliert wird. Evolutionäre Analysen zeigten außerdem, wie diese Mechanismen der Alge und den Landpflanzen gemein sind.
Prof. Dr. Jan de Vries, Leiter der Abteilung Angewandte Bioinformatik der Universität Göttingen, sagt: „Einzigartig an der Studie ist, dass unsere Netzwerkanalyse auf umfassende Repertoires genetischer Mechanismen hinweist, die bei Mesotaenium endlicherianum bisher nicht bekannt waren. Und wir stellten fest, dass Algen und Landpflanzen diese Mechanismen über mehr als 600 Mio Jahre evolutionärer Geschichte hinweg nutzen.“
Die Erkenntnisse sind für Doktorand und Erstautor Armin Dadras vergleichbar mit Musik: „Mit unserer Analyse haben wir festgestellt, welche Gene in verschiedenen Algen und Pflanzen zusammenarbeiten. Das ist, als würde man herausfinden, welche Noten in verschiedenen Liedern immer wieder harmonieren. Die Erkenntnis hilft uns, langfristige Evolutionsmuster aufzudecken und zeigt, wie bestimmte genetische ‘Noten’ über viele Arten hinweg konsistent blieben, ähnlich wie zeitlose Melodien, die über verschiedene Genres hinweg erklingen.“