Steigende Meeresspiegel, schmelzende Gletscher, Hitzewellen in den Meeren – 2023 hat in vielerlei Hinsicht alarmierende Rekorde aufgestellt. Auch die globale Durchschnittstemperatur verzeichnete mit einem Anstieg auf fast 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau einen neuen Höchstwert, so das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).

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Image: Alfred-Wegener-Institut/Yves Nowak

Bei hohen Wolken überwiegt typischerweise der wärmende Effekt durch die Wechselwirkung mit Wärmestrahlung, wohingegen bei niedrigen Wolken der kühlende Effekt durch die Reflexion von Sonnenlicht dominiert.

Die Suche nach den Ursachen dieses sprunghaften Anstiegs stellte Forschende vor ein Rätsel. Denn betrachte man die Wirkung menschengemachter Einflüsse wie die Ansammlung von Treibhausgasen in der Atmosphäre, vom Wetterphänomen El Niño sowie von Naturereignissen wie Vulkanausbrüchen, lasse sich zwar ein Großteil der Erwärmung nachvollziehen. Jedoch gibt es eine Lücke von etwa 0,2 Grad Celsius, die bisher nicht richtig erklärt werden konnte. Ein Team um das AWI hat nun in der Online-Ausgabe des Fachjournals Science beschrieben, was den unerwartet hohen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur verursacht haben könnte: Unser Planet verliert sein Rückstrahlvermögen, weil ihm bestimmte Wolken fehlen.

„Neben dem Einsetzen von El Niño und der erwarteten langfristigen Erwärmung durch anthropogene Treibhausgase wurden bereits mehrere Faktoren diskutiert, die zu den überraschend hohen globalen Durchschnittstemperaturen seit 2023 beigetragen haben könnten“, sagt Dr. Helge Gößling, Hauptautor der Studie vom AWI. Beispielsweise eine stärkere Sonnenaktivität, größere Mengen Wasserdampf aus einem Vulkanausbruch oder weniger Aerosolpartikel in der Atmosphäre. Berücksichtige man all diese Faktoren, bleibe dennoch eine Erwärmung von 0,2 Grad Celsius, für die es keine offensichtliche Ursache gibt. 

„Die Frage nach der ‚Erklärungslücke‘ von 0,2 Grad Celsius im Jahr 2023 ist aktuell eine der prominentesten Fragen der Klimaforschung“, so Helge Gößling. Um diese Lücke zu schließen, haben die Klimamodellierer des AWI und des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF) Satellitendaten der NASA sowie Reanalysedaten des ECMWF, bei denen vielfältige Beobachtungsdaten mit einem komplexen Wettermodell kombiniert werden, untersucht. Die Daten reichen teilweise bis ins Jahr 1940 zurück und ermöglichen eine detaillierte Analyse der Entwicklung des globalen Energiehaushalts und der Bewölkung in verschiedenen Höhen.

„Auffällig war, dass sowohl im Datensatz der NASA als auch vom ECMWF 2023 als das Jahr mit der niedrigsten planetaren Albedo hervorsticht“, sagt Co-Autor Dr. Thomas Rackow vom ECMWF. Die planetare Albedo beschreibt den Anteil der Sonneneinstrahlung, der nach jeglicher Wechselwirkung mit der Atmosphäre und der Erdoberfläche ins Weltall zurück reflektiert wird. „Wir konnten bereits in den letzten Jahren einen gewissen Rückgang erkennen. Die Daten legen nun nahe, dass die planetare Albedo 2023 so niedrig wie nie seit mindestens 1940 gewesen sein könnte.“ Das befeuert die globale Erwärmung und kann die bisher fehlenden 0,2 Grad Celsius erklären. Doch was hat den rekordverdächtigen Rückgang der planetaren Albedo verursacht.

Rückgang niedriger Wolken verringert Rückstrahlkraft der Erde

Die Albedo der Erdoberfläche nimmt seit den 1970er Jahren tendenziell ab. Zunächst auch dadurch, dass Schnee und Meereis in der Arktis immer weniger wurden und damit auch weiße Flächen, die Sonnenstrahlen reflektieren können. Seit 2016 kommt der Rückgang des Meereises in der Antarktis hinzu. „Die Analyse der Datensätze zeigt jedoch, dass der Rückgang der Oberflächenalbedo in den Polarregionen nur etwa 15 Prozent zum jüngsten Rückgang der planetaren Albedo beigetragen hat“, erklärt Helge Gößling. Auch andernorts habe das Reflexionsvermögen spürbar abgenommen. Um zu berechnen, wie sich die reduzierte Albedo ausgewirkt haben könnte, haben die Forschenden ein etabliertes Energiebilanzmodell verwendet, das den Temperaturverlauf von komplexen Klimamodellen sehr gut nachbildet. Das Ergebnis: Ohne die verringerte Reflexion seit Dezember 2020, wäre 2023 im Mittel etwa 0,23 Grad Celsius kühler ausgefallen.

Eine Entwicklung hat den Rückgang des planetaren Reflexionsvermögens offenbar maßgeblich beeinflusst: der Rückgang von niedrigen Wolken in nördlichen mittleren Breiten und in den Tropen. Dabei sticht der Atlantik besonders hervor, also genau jene Region, in der 2023 die ungewöhnlichsten Hitzerekorde beobachten wurden. „Auffallend ist, dass der östliche Nordatlantik, der einer der Haupttreiber für den jüngsten Anstieg der globalen Mitteltemperatur ist, nicht nur 2023 einen deutlichen Rückgang von niedrigen Wolken verzeichnete, sondern – wie fast der gesamte Atlantik – bereits in den letzten zehn Jahren.“ Die Daten zeigen, dass die Wolkenbedeckung in niedrigen Höhen abgenommen hat, während sie in hohen und mittleren Höhen nur geringfügig, wenn überhaupt, zurückging.

Dass hauptsächlich niedrige und nicht etwa höhere Wolken hinter dem Albedo-Rückgang stecken, sei folgenreich. Wolken in allen Höhen reflektieren Sonnenlicht und haben so eine kühlende Wirkung. Wolken in hohen, kalten Luftschichten haben jedoch zusätzlich auch eine wärmende Wirkung, weil sie die Wärme, welche die Erdoberfläche abstrahlt, in der Atmosphäre halten. „Das entspricht im Grunde der Wirkung von Treibhausgasen“, erklärt Helge Gößling. Diese Wirkung fehle jedoch weitestgehend bei niedrigeren Wolken. „Gibt es weniger niedrigere Wolken, verlieren wir nur den Kühleffekt, es wird also wärmer.“

Was aber hat den Rückgang der niedrigen Wolken verursacht? Weniger menschenverursachte Aerosole in der Atmosphäre, insbesondere durch strengere Auflagen beim Schiffsdiesel, dürften dazu beigetragen haben. Als Kondensationskeime sind Aerosole maßgeblich an der Wolkenbildung beteiligt, zusätzlich reflektieren sie auch selbst das Sonnenlicht. Außerdem könnten natürliche Schwankungen und Ozean-Wechselwirkungen eine Rolle spielen. Helge Gößling hält es jedoch für unwahrscheinlich, dass diese Faktoren als Erklärung ausreichen und bringt einen dritten Mechanismus ins Spiel: Es ist die Erderwärmung selbst, die die niedrigen Wolken verschwinden lässt. „Sofern hinter dem Albedo-Rückgang eine verstärkende Rückkopplung zwischen Erderwärmung und Wolken steckt, wie auch einige Klimamodelle nahelegen, müssen wir mit einer recht starken zukünftigen Erwärmung rechnen“, betont er. „Wir könnten einer globalen Klimaerwärmung von über 1,5 Grad Celsius bereits näher sein als bislang gedacht. Die verbleibenden Treibhausgasemissionen, die mit diesen Haltelinien des Paris-Abkommens verbunden sind, müssten entsprechend nach unten korrigiert werden, und Maßnahmen gegen die Folgen zu erwartender Wetterextreme würden noch dringlicher.“